Digitaler Wandel in Unternehmen: Pandemie deckt Defizite auf
Seit Jahren wird vom digitalen Zeitalter gesprochen. Vor der Pandemie äußerten sich vier von zehn Unternehmensführern optimistisch, dass sie den Umbruch hin zu einer digitalisierten Arbeitswelt in einer Vorreiterrolle begleiten. Vorbildlich sei die Management-Software, IT-Prozesse entsprächen dem neuesten Stand. Mit einem Schlag machte die Coronakrise die vorhandenen Digitalisierungsdefizite sichtbar. Schnell waren Netze überlastet und viele Firmen konnten und können den hohen Bedarf an Arbeitsplätzen im Homeoffice nicht erfüllen.
Sicher wurde die Aufgabe der Digitalisierung von der Politik unterschätzt. Bei vielen Themen fehlte es an Strategie. Festzumachen ist das an der mangelnden Infrastruktur in Form von einem schnellen Internet überall und zu jeder Zeit. Rechtliche Rahmenbedingungen fehlten oder waren noch nicht verinnerlicht, als sie gebraucht wurden. Aber auch die Unternehmen an sich haben zu wenig investiert. Die Schulungen von Mitarbeitern wurde nicht genügend vorangetrieben und das Thema Sicherheit der innerbetrieblichen Vernetzung lässt laut den Experten von Ivanti IT-Management zahlreiche Verbesserungen zu.
Digitale Defizite in allen Bereichen
Zwar ist besonders der öffentliche Sektor betroffen, aber im Unternehmensbereich liegt in vielen Firmen das Augenmerk im Bereich digitales Arbeiten. So waren alle Branchen schon im Frühjahr 2020 vor die Herausforderung gestellt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Distanzregeln einhalten sollen. Deshalb schob sich die Frage nach dem Homeoffice in den Vordergrund. Dabei ist es jedoch nicht mit einem stabilen Internetanschluss getan. Erste Defizite wurden sichtbar, als nicht jeder Mitarbeiter, der das wollte, mit der notwendigen modernen Hardware ausgestattet war. Notebooks, Tablets und PCs mussten angeschafft werden, oft waren die bisher genutzten Geräte veraltet. Viele Beschäftigte im Home-Office hatten von einem Moment auf den anderen nicht die nötigen Kompetenzen, um diese Situationen zu bewältigen oder die Geräte fachgerecht zu bedienen.
Zudem war in vielen Firmen das externe Zugreifen von Mitarbeitern auf die betriebseigenen Daten unmöglich. Aufgrund veralteter Software mussten im Schnelldurchgang neue Sicherheitssysteme eingeführt werden. In vielen Unternehmen waren Akten, Informationen und Prozesse noch nicht auf digitalem Wege zugänglich. Wie schwerwiegend sich diese Verwerfungen auswirken werden, ist im Moment noch nicht überschaubar.
Ist Deutschland zu bequem geworden?
Die Schwäche bei der Digitalisierung der Unternehmen kann nicht in Gänze verstanden werden, wenn die Rahmenbedingungen bei der Diskussion außen vorbleiben. So hat die Coronakrise zwar aufgezeigt, dass Deutschland in puncto Digitalisierung von vielen Ländern der Rang abgelaufen wird. Viele sprechen gar von einem Deutschland als Entwicklungsland. Diese Ansicht übertreibt etwas, vor allem hat das digitale Defizit vielschichtige Kausalitäten. Ein Grund ist sicherlich, dass hierzulande gar nicht so viele Umbrüche notwendig waren. Im Vergleich zu den baltischen Staaten, welche jetzt die Nase mit vorne haben, musste Deutschland nicht bei null anfangen. Es sind kleinere Schritte notwendig, um zu Veränderungen zu kommen.
Zudem lief hierzulande lange Zeit alles gut. Das Gesundheitssystem ist vorbildlich entwickelt und dem vieler Nachbarstaaten überlegen. Die öffentliche Verwaltung wird zwar immer beschimpft, läuft in der Krise aber doch einigermaßen rund. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass an manchen Ecken nicht sorgfältig genug gearbeitet wurde. So haben vor allem Schulen oft einen wenig zufriedenstellenden WLAN-Zugang. Lehrer sind nicht in Gänze mit E-Mail-Adressen ausgestattet. Der Michel ist etwas faul geworden in Bezug auf Digitalisierung und es muss ein Gang hochgeschaltet werden, was sich auch auf dem Stellenmarkt bemerkbar machen wird.
Pandemie als Weckruf
Wenn der Blick in die Zukunft gerichtet wird, dürfte die beste Strategie darin bestehen, das Virus und seine Folgen als Warnruf zu verstehen. Der Prozess der Digitalisierung ist noch nicht abgeschlossen, sondern befindet sich in der Entwicklung. Es kann schnell viel aufgeholt, aber auch einiges verschlafen werden. Insbesondere, wenn an die Möglichkeiten der KI (Künstliche Intelligenz) gedacht wird. Umschichtungen von Aufgaben in den Betrieben werden erforderlich sein. Der Umgang mit einer Fülle von datenbasierten Denkweisen am Arbeitsplatz ist zu bewältigen. Vielen Menschen muss die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes genommen werden.
Und das ist dann wohl die größte Aufgabe, die vor uns liegt. Die Vermeidung einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen technikaffinen Menschen, welche den Zugang zur Digitalisierung schon verinnerlicht haben, und solchen (vor allem älteren) Menschen, für die die digitalisierte Welt Neuland ist und bleiben wird.
Autor: Nils Reimers